Geschmackssinn

Der Geschmackssinn, auch als Gustatorische Wahrnehmung bezeichnet, ermöglicht das Erlebnis von Empfindungen des Schmeckens, die durch Reizung spezifischer Sinnesorgane wie den „Geschmacksknospen“ hervorgerufen werden.
Der Geschmackssinn wird ebenso wie der Geruchssinn durch chemische Reize angesprochen, ist jedoch ein Nahsinn, mit dem aufgenommene Nahrung vor der eigentlichen Einnahme geprüft werden kann. Beim erwachsenen Menschen liegen die Sinneszellen des Geschmacksorgans in der Zungen- und Rachenschleimhaut und vermitteln vom wissenschaftlichen Standpunkt fünf oder sechs Grundqualitäten.
Der Sinneseindruck, der alltagssprachlich als „Geschmack“ bezeichnet wird, ist ein Zusammenspiel des Geschmacks- und Geruchssinns gemeinsam mit Tast- und Temperaturempfindungen aus der Mundhöhle. Sinnesphysiologisch umfasst der menschliche Geschmackssinn hingegen nur die genannten grundlegenden Geschmacksqualitäten; sie werden mit Geschmacksrezeptoren wahrgenommen, die vorwiegend auf der Zunge liegen. Als Dysgeusie werden Störungen der geschmacklichen Wahrnehmung bezeichnet. Ageusie heißt der Ausfall des Geschmackssinns.
Nach Rudolf Steiner ist der Geschmackssinn einer der zwölf physischen Sinne.
Lage der Sinneszellen
Die Rezeptorzellen für verschiedene Geschmacksqualitäten sind bei Säugetieren in Geschmacksknospen (Caliculi gustatorii) angeordnet, die sich auf der Zunge in den Geschmackspapillen (Papillae gustatoriae), daneben auch in den Schleimhäuten von Mundhöhle, Rachen und Schlund befinden. Etwa 25 % der Geschmacksknospen sind auf den vorderen zwei Dritteln der Zunge angeordnet, weitere 50 % auf dem hinteren Drittel. Die übrigen verteilen sich auf Gaumensegel, Nasenrachen, Kehlkopf und die obere Speiseröhre.[1] Jede Geschmacksknospe kann 50 bis 150 Sinneszellen enthalten, abhängig auch von der Spezies eines Säugetieres, und eine Geschmackspapille dann einige bis zahlreiche Geschmacksknospen.[2]
Die Papillen der Zunge unterteilt man ihrer Form nach in Wall-, Blätter-, Pilz- und Fadenpapillen. Wallpapillen (Papillae vallatae) befinden sich im hinteren Drittel des Zungenrückens in V-förmiger Anordnung nahe dem Zungengrund. Jeder Mensch besitzt etwa sieben bis zwölf dieser Papillen, die jeweils mehrere Tausend Geschmacksknospen aufweisen. Auch die Blätterpapillen (Papillae foliatae) befinden sich im hinteren Drittel der Zunge, jedoch an deren Rand, und enthalten einige hundert Geschmacksknospen. Die bis zu vierhundert Pilzpapillen (Papillae fungiformes) finden sich über die gesamte Zungenoberfläche verteilt vornehmlich auf den vorderen zwei Dritteln der Zunge und enthalten beim Menschen je drei bis fünf Geschmacksknospen. Fadenpapillen (Papillae filiformes) enthalten keine Geschmacksknospen, sondern dienen der Beurteilung mechanischer Eigenschaften der aufgenommenen Lebensmittel.[1][2]
Menschliche Säuglinge und Kleinkinder haben nicht nur zahlenmäßig mehr Geschmacksknospen, sondern außerdem welche auf dem harten Gaumen, in der Zungenmitte sowie in der Lippen- und Wangenschleimhaut. Mit zunehmenden Lebensalter werden sie ihrer Anzahl nach ausgedünnt und auf bestimmte Lokalisationen konzentriert.
Die Geschmacksqualitäten
Wissenschaftliche Forschung
Aktuell wird von zumindest fünf – eventuell sechs – Grundqualitäten des Geschmacks ausgegangen:
- süß – ausgelöst durch Zucker und Zuckerderivate sowie einige Aminosäuren, Peptide oder Alkohole, aber auch durch einige Giftstoffe, z. B. Blei(II)-acetat
- salzig – ausgelöst durch Speisesalz sowie durch einige andere Mineralsalze
- sauer – ausgelöst durch saure Lösungen und organische Säuren
- bitter – ausgelöst durch eine Vielzahl von Stoffen, siehe auch: Bitterstoffe
- umami – ausgelöst durch die Aminosäuren Glutaminsäure und Asparaginsäure
- fett – ausgelöst durch freie Fettsäuren,[3] doch als Geschmacksqualität umstritten[4]

Umami (jap. „wohlschmeckend, würzig“) wurde 1909 erstmals von dem japanischen Forscher Kikunae Ikeda beschrieben. Ikeda war es gelungen, aus dem Seetang (Hauptzutat des Dashi, eines japanischen Fischsudes) Glutaminsäure zu isolieren und als den geschmacklich dominierenden Bestandteil von Dashi zu identifizieren.[5] Er gab dieser Qualität ihren Namen als Kompositum aus umai („würzig“) und mi („Geschmack“). Ein starker umami-Geschmack zeigt eiweiß- und aminosäurereiche Nahrungsmittel an, kann aber auch allein durch eine hohe Konzentration an Glutaminsäure beziehungsweise durch den Geschmacksverstärker Mononatriumglutamat hervorgerufen werden. Rezeptoren aus der Gruppe CaSR binden Calciumionen und verstärken die Sinneseindrücke umami, süß und salzig (Kokumi).[6]
Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Philippe Besnard identifizierte Ende 2005 einen möglichen Geschmacksrezeptor für den Fettgeschmack: das Glycoprotein CD36, das in den Geschmackssinneszellen der Zunge nachgewiesen wurde und Fettsäuren mit hoher Affinität binden kann. Bis dahin war es strittig, ob es eine sechste Grundqualität gibt, die durch Fett in Nahrungsmitteln ausgelöst wird. Daneben werden immer wieder weitere Geschmacksqualitäten diskutiert, wie alkalisch,[7] metallisch[8] und wasserartig.[9]
Eine wesentliche Rolle für komplexe Geschmackseindrücke spielt der Geruchssinn, der für alle anderen „Geschmackseindrücke“ verantwortlich ist. Deutlich wird dies bei schweren Erkältungen, wenn man mit verstopfter Nase keine Geschmackseindrücke jenseits der Grundkategorien mehr wahrnimmt. Auch gibt es bei vielen Tierarten keine Trennung zwischen Geschmacks- und Geruchswahrnehmung.
„Scharf“ wird zwar als Geschmacksempfindung qualifiziert, ist aber genau genommen ein Schmerzsignal der Nerven bei Speisen, die beispielsweise mit Chili gewürzt sind, dann hervorgerufen durch das Alkaloid Capsaicin.
Geschmacksrichtungen und die seelisch-geistige Entwicklung
Heinz Grill weist von einem geistigen Standpunkt darauf hin, dass die verschiedenen Geschmacksrichtungen sehr wichtige und wesentliche Prozesse für die seelisch-geistige Entwicklung erwecken. Durch die Ernährung können die Sinne auf eine höhere Stufe entfaltet werden.[10]
In einer differenzierten Ausarbeitung dieses Grundgedankens unterscheidet er 6 charakteristische Geschmacksrichtungen:
Das Süße
- „Das Süße enthebt das Bewusstsein auf feine Weise vom Körper und bringt es gleichzeitig in eine Interessensbereitschaft für verschiedene neue Fragen und auch für das irdische Leben. Die Welt will süß und geborgen erscheinen. Sie will vom menschlichen Ego ergriffen werden. Würde man dem Menschen das süße Erleben ganz entziehen, so würde er wohl an den immer nur gesalzenen Speisen mehr verhärten und nahezu zerbrechen. Das Süße öffnet ihn für das Interesse zur Welt, aber dieses Interesse nicht zu sehr in die egoistische und einseitige Verhaltensrolle entgleiten.
- In jeder Pflanze und ganz besonders im Getreide befinden sich die süßen Kohlenhydrate. Sie sind im Getreide, in Karotten und auch anderen kohlenhydratreichen Gemüsesorten harmonisch und fein verteilt und nicht isoliert. Der weiße Kristallzucker aber ist ein isoliertes Produkt und er fördert nicht die soziale und gute Integrität des Menschen, sondern sein Streben nach einem Eigensinn und einer Antiliebe.“[10]
Das Bittere

- „Die bitteren Speisen mit ihrem Amara-Geschmack sind im Gesamten und besonders in der depressiven Kondition für die Gesundheit förderlich und erregen die Aktivitätskraft des Leberstoffwechsels. Bei fast allen psychischen Erkrankungen, bei denen die Seele nicht mehr so recht In den Leibzusammenhang findet und bei denen allgemein die nervösen, beunruhigenden Tendenzen vorherrschen, geben leicht bittere Gewürze und auch Nahrungsmittel, wie beispielsweise der Hafer mit seiner milden Bittertendenz eine außerordentlich gute Grundlage. Das Bewusstsein möchte infolge der nervösen Unruhen wieder mehr den Leib ergreifen und meist bestehen in diesem nicht die ausreichenden Grundlagen, denn die Organe des Menschen sind fast immer zu einem gewissen Grade geschwächt. Bittere Gemüsesorten sind beispielsweise die Artischocke, Chicoree, ganz besonders die Löwenzahnblätter und verschiedene Wintersalate. Nicht unerwähnenswert ist auch die Brunnenkresse. Die bitteren Nahrungsmittel, die bereits auf die Sekretion und Enzymbildung anregend wirken und die gesamte Verdauungsleistung straffen, geben eine bessere Grundlage, um das Bewusstsein wieder in den Leib hineinfinden zu lassen. Diese Art Nahrung dynamisiert die Organe, ohne sie zu überdehnen und zu überlasten.“[10]
Das Herbe

- „Die herbe oder adstringierende Geschmackrichtung liegt gewissermaßen zwischen den salzigen und bitteren Nahrungsmitteln und diese bewirkt eine sehr angenehme, formbildende Erkraftung gegenüber dem Körper. Alle herben Nahrungsmittel trocknen das Gewebe aus und ziehen den Säftefluss zusammen, sodass die Lymphtätigkeit mehr zur Erkraftung kommt. Sesam, Hibiskusblüte, Schlehdorn, Buchweizen und Quark wirken leicht herb und zusammenziehend. Ein sehr stark zusammenziehendes Mittel ist auch die Quitte.“[10]
Das Saure
- „Wie wirkt die saure Komponente, der man nachsagt, sie mache den Menschen lustig? Es muss jemand nicht in die Zitrone beißen, um das saure Erleben einen Moment für sich auszukosten. In den Milchsäureprodukten wie Joghurt, Sauermilch oder Buttermilch befindet sich eine sehr harmonische, leicht säuerliche Komponente, die in milder Art das Verdauungssystem anregt und das Bewusstsein auf leichte Weise vom Körper erhebt. Allgemein wirkt das Saure lösend und entkrampfend auf das Bewusstsein und durchlichtet den Stoffwechsel. Es hilft, die Seelenkräfte voneinander zu gliedern, und gibt deshalb dem ganzen Gemüt eine beschwingte Anregung. Der typisch saure Zitronensaft wirkt heilend auf die gesamte Gemütslage des Menschen, die sich zu stark in Schweregefühlen und Depressionen verliert, denn er trägt ein Licht hinab in die dunklen Schattenseiten des Leibes.“[10]
Das Scharfe

- „Das pikante und scharfe Würzen von Speisen, das vor allem in östlichen Ländern zur Vermeidung von Darmparasiten und zur Aktivierung des Temperaments bevorzugt wird, ist dem westlichen Bürger nicht sehr geheuer. Mit zu großen Gaben Pfeffer oder Chili sollte der Mensch auch vorsichtig sein, da er nur unnötig seine Schleimhäute überbeansprucht und das Nervensystem zur Unruhe reizt. Geringe Anregungen durch das scharfe Element sind jedoch für den Menschen, der sehr zu Melancholie neigt und in einen zu tiefen, einseitigen Innenbezug flüchtet, wertvoll denn die im Moment entflammende Wärmeanregung des Paprika kann beispielsweise das Bewusstsein mehr an die Peripherie locken. Hervorragende Nahrungsmittel, die nahezu den Standard eines Heilmittels aufweisen, sind die verschiedenen Zwiebelgewächse. Diese geben, ganz besonders wenn man an die weiße oder rote Zwiebel denkt, jeder Speise eine belebende, anregende und mild-scharfe Komponente. Der Knoblauch hingegen wäre durchaus kräftigend und gesund, aber er nimmt das Bewusstsein noch mehr als die Zwiebel durch seine schweflige und einhüllende Wirkung gefangen, sodass eine gewisse Dumpfheit durch zu viel Knoblauchgenuss entstehen kann. Zwiebeln jedoch, als Gewürz oder manchmal auch in feinen Scheiben auf das Brot gelegt, geben eine sinnvolle Anregung und lassen das Bewusstsein dennoch ausreichend frei von den aufsteigenden und einhüllenden Schwefelkräften. Sehr heilsam und gut ist auch die milde Schärfe der Ingwerwurzel. Dieses Gewürz gilt in Indien als eines der reinsten Produkte.“[10]
Das Salzige

- „Das Salz ist ein erwähnenswertes Mineral, denn es fördert die konkrete Bildung des Gedankens und macht des Weiteren die Sinne wacher. Es fördert die Strukturierung und Formbildekraft im Bewusstsein. Die salzige Komponente wirkt auf das Verdauungssystem auf feine Weise zentrierend und bahnt die Bewegungen des Stoffwechsels. Es ist aber bei der Zubereitung der Nahrung grundsätzlich darauf zu achten, dass dem Körper keine überdurchschnittlich salzigen Speisen zugeführt werden. Das Salz sollte mehr den Geschmack jeder Speise emporheben, aber es sollte in keinster Weise dominieren. Es wäre günstig, wenn jede Form der Zubereitung so harmonisch wie möglich mit dem Salz abgestimmt wird, sodass der Einzelne keinen überdurchschnittlichen Durst nach dem Essen verspürt. Eine ungesalzene Speise besitzt in der Regel keine wirkliche Geschmacksintensität und dadurch kann sich der physische Leib weniger für die Nahrung interessieren. Eine Ausnahme hierzu bilden die Süßspeisen. Eine ganz geringfügige Menge Salz kann aber auch so manche Süßspeise im Geschmack anheben und sie dem Organismus seiner Sinnesfreude näher führen. Das Salz kann jedenfalls zur Harmonie jedes Gerichtes beitragen. Nicht zu viel und nicht zu wenig, sondern im genau bemessenen, geschmacklich wohlerwogenen Abgestimmtsein wird das Salz der Speise zugeführt.“[10]
Geschmacksrezeptoren
Die Geschmacksqualitäten bitter, süß und umami werden durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren vermittelt und die Signaltransduktion ist mittlerweile recht gut charakterisiert. Die Details der Wahrnehmung von sauer und salzig hingegen sind noch weitgehend ungeklärt. Aufgrund der chemischen Struktur der salzig und sauer schmeckenden Stoffe liegt die Vermutung nahe, dass Ionenkanäle eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung spielen.
Süß, bitter und umami
Für die Wahrnehmung des süßen Geschmacks ist ein heterodimerer Rezeptor verantwortlich, der aus den beiden G-Protein-gekoppelten Rezeptoren T1R2 und T1R3 zusammengesetzt ist. Dieses Heterodimer vermittelt den süßen Geschmack aller für den Menschen süß schmeckender Stoffe, obwohl diese sehr unterschiedliche molekulare Strukturen aufweisen. Die Fähigkeit, eine Vielzahl unterschiedlicher Stoffe zu detektieren, wird durch den besonders langen extrazellulären N-Terminus der beiden Rezeptoruntereinheiten bewerkstelligt. Zur Bindung der einzelnen Stoffe sind verschiedene Teile des N-Terminus vonnöten. Sämtliche Arten der Familie der Katzen haben eine Mutation im T1R2-Gen, weswegen sie keine Süßwahrnehmung haben.[2]
Der Rezeptor für den Umami-Geschmack ist sehr ähnlich aufgebaut. Auch er ist ein Heterodimer, allerdings setzt er sich aus je einer T1R1- und T1R3-Untereinheit zusammen. Er ist in der Lage, verschiedene L-Aminosäuren zu erkennen, und zeigt beim Menschen eine hohe Spezifität für die Aminosäuren Glutamin- und Asparaginsäure. Die Anwesenheit von Purinnukleotiden, wie Inosinmonophosphat und Guanosinmonophosphat, führt zu einer Verstärkung der Rezeptoraktivierung und damit auch des Umami-Geschmacks.[2]
Im Gegensatz zu den anderen Geschmacksqualitäten ist für die Wahrnehmung des bitteren Geschmacks eine Vielzahl von Rezeptoren verantwortlich. Sie bilden die Genfamilie der T2Rs, die beim Menschen etwa 25–30 Mitglieder aufweist.[2] Die einzelnen T2R-Typen werden – in verschiedenen Kombinationen – in denselben Rezeptorzellen exprimiert. Das führt dazu, dass, obwohl die einzelnen Rezeptoren mitunter sehr spezifisch für einen oder wenige Bitterstoffe sind, Säugetiere verschiedene Bitterstoffe nicht am Geschmack unterscheiden können. Durch alle Bitterstoffe werden letztendlich dieselben Rezeptorzellen aktiviert und dieselben Informationen an das Gehirn weitergeleitet.[2] Einige Bitterstoffe sind auch in der Lage, die Signaltransduktion direkt zu beeinflussen, indem sie beteiligte Enzyme hemmen oder aktivieren. Rezeptoren für Bitterstoffe wurden auch auf glatten Muskelzellen des Bronchialsystems gefunden. Dort verursacht ihre Aktivierung eine Bronchodilatation.[11]
Salzig und sauer
Lange Zeit wurde der epitheliale Natriumkanal als der wichtigste Kandidat für den Rezeptor des Salzgeschmacks beim Menschen angesehen. Heute ist bekannt, dass er zwar bei Nagetieren an der Wahrnehmung salzigen Geschmacks stark beteiligt ist, beim Menschen aber nur eine untergeordnete Rolle spielt. Man vermutet, dass neben den Kationen wie Na+ auch die Anionen der Salze wie Cl− einen Einfluss haben.[2]
Entgegen langjähriger Annahmen scheint bei der Detektion des sauren Geschmacks weniger der extrazelluläre als vielmehr der intrazelluläre pH-Wert in den Geschmacksrezeptorzellen die entscheidende Rolle zu spielen. Dies würde auch erklären, warum bei gleichem pH-Wert einer Lösung organische Säuren wie Essigsäure oder Citronensäure deutlich saurer schmecken als anorganische Säuren wie etwa Salzsäure. Die organischen Säuren sind in undissoziiertem Zustand wesentlich unpolarer als die anorganischen und somit eher in der Lage, die Zellmembran zu überwinden. In den Zellen dissoziieren sie dann in Protonen und anionische Säurereste und senken somit den pH-Wert intrazellulär. Die anorganischen Säuren hingegen können die Zellmembran nicht undissoziiert durchdringen. Erst bei entsprechend hohen Konzentrationen gelangen die durch extrazelluläre Dissoziation entstandenen Protonen (bzw. ihre hydratisierten Formen) über Ionenkanäle in die Rezeptorzellen. So führen erst deutlich höhere Konzentration anorganischer Säuren in der Mundhöhle zur gleichen Absenkung des pH-Werts in den Sinneszellen. Man vermutet, dass der niedrige pH-Wert zu Veränderungen an den intrazellulären Anteilen von Membranproteinen und darüber schließlich zur Aktivierung der Rezeptorzellen führt.[12]
Dennoch verläuft die Suche nach dem eigentlichen Rezeptor für die Geschmacksqualität „sauer“ schleppend. Nachdem in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Theorien verschiedene Ionenkanäle und -transporter als Sauerrezeptor vorgeschlagen hatten, wurde 2006 mit dem Transmembranprotein PKD2L1 (kurz für engl. „Polycystic kidney disease 2-like 1“) ein besonders interessanter Kandidat identifiziert. Es hat sich gezeigt, dass in Mäusen, bei denen selektiv die PKD2L1-exprimierenden Zellen abgetötet wurden, keine Aktivierung der entsprechenden Nerven durch Sauer-Stimuli mehr stattfand. Die übrigen Geschmacksqualitäten waren offenbar nicht beeinflusst.[2]
Calcium/Magnesium-Ionen
Die Ergebnisse von Untersuchungen am Monell Chemical Senses Center durch Tordoff legen nahe, dass es eine Geschmacksqualität für Calcium/Magnesium-Ionen geben könnte. In diesen Studien wurden auf der Zunge von Mäusen Rezeptoren gefunden, die spezifisch auf Calcium/Magnesium-Ionen reagieren.
Da ein Mäusestamm im Vergleichstest calciumhaltige Flüssigkeit (vermutlich wegen des Geschmacks) bevorzugte, wurde dessen Erbgut genauer untersucht. Dabei wurden zwei Gene identifiziert, die anscheinend an der Bildung von Calcium/Magnesium-spezifischen Geschmacksrezeptoren beteiligt sind. Eines der Gene ist auch am Süß- und Umami-Rezeptor beteiligt. Diese beiden Rezeptoren werden ebenfalls als Heterodimere durch die Kombination zweier verschiedener Genprodukte aufgebaut (siehe weiter oben). Neben dem Gen Tas1r3 soll für den Calcium/Magnesium-Geschmack bei Mäusen noch CaSR erforderlich sein. Die verantwortlichen Gene[13] sind auch im menschlichen Erbgut vorhanden, allerdings konnten Produkte des zweitgenannten Gens beim Menschen bisher nur Strukturen im Gehirn und im Verdauungssystem zugeordnet werden.[14]
Neuronale Verarbeitung
Die Übertragung der Informationen von den (sekundären) Geschmackssinneszellen auf die afferenten en, die für die Weiterleitung ins Gehirn zuständig sind, ist noch ungeklärt. Es ist bekannt, dass Geschmackssinneszellen eine Reihe von Neurotransmittern und Neuropeptiden wie Serotonin oder Noradrenalin ausschütten können. Es existieren weiterhin Hinweise, dass Adenosintriphosphat eine wichtige Rolle in der Signalübertragung von der Sinneszelle auf die Nervenzelle spielt.[15]
Geschmacksqualitäten und topografische Zuordnung
Die vier primären Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig und bitter werden zu einzelnen Zungenabschnitten und den dort angesiedelten Geschmackspapillen bzw. Geschmacksnerven in Beziehung gesetzt. In Henry Gray’s Anatomy of the Human Body, einem Klassiker des Faches, dessen erste Auflage im Jahr 1858 in Großbritannien erschienen ist, finden sich die folgenden Grafiken:[16]
-
Süß
-
Sauer
-
Salzig
-
Bitter
In einem Vortrag über Sprachgestaltung nimmt Rudolf Steiner darauf Bezug und überträgt die Ausdrücke sauer, bitter, süß auf moralische Eindrücke:
- „Wenn man heute vom Geschmack im Künstlerischen spricht und vom Geschmack bei der Gurke oder dem Kalbsbraten, so fühlt man nicht mehr die Notwendigkeit, welche die Menschen dazu veranlaßt hat, das eine und das andere mit dem Worte Geschmack zu belegen. Aber nehmen Sie die Tatsache, daß der Mensch, wenn er Bitteres genießt – dasjenige, was man im Speisen- oder Getränkegenuß bitter nennt, das ganz gewöhnliche materiell Bittere –, dann das Geschäft, für ihn die Empfindung des Bitteren zu besorgen, dem rückwärtigen Teil seiner Zunge und dem Gaumen auflegt, so daß also in dem Augenblicke, wo Bitteres von Ihrem Mund in Ihre Speiseröhre geht, und Sie das Erlebnis, das ganz materiell physische Erlebnis des Bitteren haben, bei dieser Angelegenheit Ihr Gaumen in Verbindung mit der Zunge und der hintere Teil der Zunge beschäftigt ist.
- Nun können Sie auch Saures genießen, dasjenige, was Sie genießend in das Erlebnis des Sauren hineinbringt. Da legen Sie wiederum hauptsächlich Ihrem Zungenrand die Verpflichtung auf, für Sie die Empfindung des Sauren zu vermitteln; der ist beschäftigt, während Sie das Erlebnis des Sauren haben. Und haben Sie die Empfindung des Süßen, dann ist Ihre Zungenspitze vorzugsweise beschäftigt. So sehen wir also, wie das Verhältnis zur Außenwelt sich streng nach den Gesetzen des Organismus regelt. Wir können nicht mit der Zungenspitze irgendwie die Freundschaft so schließen, daß sie uns das Saure oder Bittere vermittelt; sie bleibt untätig beim Sauren oder Bitteren, sie hat schon einmal die charaktervolle Eigentümlichkeit, nur wenn wir etwas Süßes durch den Mund gehen lassen, tätig zu sein.
- Nun übertragen wir wirklich nicht ohne Grund die Ausdrücke sauer, bitter, süß auf moralische Eindrücke. Wir sprechen sogar in sehr dezidierter Weise von dem Sauren, von dem Bitteren, von dem Süßen bei moralischen Eindrücken. Ich sage in dezidierter Weise aus dem Grunde, weil wir zum Beispiel beim anderen Menschen nicht durchweg veranlaßt sein werden, in seinen Worten, die er ausspricht, etwas Saures zu sehen. Wir sprechen aber schon bei seinem Mienenspiel aus einem ganz natürlichen Instinkt heraus von einem sauren Gesichte. Wir werden nicht leicht einen Satz sauer finden, aber ein Gesicht werden wir außerordentlich leicht sauer finden.
- Nun, sehen Sie, dasjenige, was da bei einem Gesichte uns veranlaßt, es als sauer zu bezeichnen, das regt genau dieselben Gegenden dahinten, wo es schon gegen die Kehle zu geht, in der Zunge an, etwas geistiger, aber doch tätig zu sein, gerade so, wie wenn wir Essig verschlucken. Es ist eine innere Verwandtschaft, die instinktiv durchaus sich im Menschen geltend macht. Und das Unbewußte weiß in diesem Augenblicke ganz genau die Beziehung zwischen dem Essig und dem Gesichte. Der Essig aber hat die Eigentümlichkeit, daß er die mehr passiven kleinen Organe der Zunge für sich in Anspruch nimmt. Das Gesicht der «Tante» bei gewissen Gelegenheiten hat die Eigentümlichkeit, daß sie die mehr aktiven Teile derselben Gegend in Anspruch nimmt.“[17]
Siehe auch
Literatur
- Hans-Christian Pape, Armin Kurtz, Stefan Silbernagl: Physiologie. 7. Auflage, Thieme, Stuttgart 2014. ISBN 978-3-13-796007-2.
- Stefano Mancuso, Carlo Petrini: Die Wurzeln des guten Geschmacks. Warum sich Köche und Bauern verbünden müssen. Übersetzung Christine Ammann. Antje Kunstmann, München, 2016. ISBN 978-3-95614-096-9.
- Dietrich Rapp, Hans-Christian Zehnter: Die zwölf Sinne in der seelischen Beobachtung – Eine Exkursion. Sentovision, Basel 2019, ISBN 978-3037521083.
- Robert F. Schmidt, Hans-Georg Schaible: Neuro- und Sinnesphysiologie, 5. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006, ISBN 978-3540257004.
- Johannes Weinzirl, Peter Heusser (Hrsg.): Bedeutung und Gefährdung der Sinne im digitalen Zeitalter. Wittener Kolloquium für Humanismus, Medizin und Philosophie. Band 5. Königshausen u. Neumann 2017, ISBN 978-3826059919.
Weblinks
- Literatur über Gustatorische Wahrnehmung im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Gustatorisches System und Geschmackssinn. In: anatomie.net (PDF)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 D. V. Smith, J. D. Boughter jr: Neurochemistry of the Gustatory System. In: A. Lajtha and D. A. Johnson (Hrsg.): Handbook of Neurochemistry and Molecular Neurobiology. Springer US, 2007, S. 109–135, ISBN 978-0-387-30349-9.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 J. Chandrashekar et al.: The receptors and cells for mammalian taste. In: Nature. 444, Nr. 7117, 2006, ISSN 1476-4687, S. 288–294.
- ↑ F. Laugerette et al.: CD36 involvement in orosensory detection of dietary lipids, spontaneous fat preference, and digestive secretions. In: Journal of Clinical Investigation 115. Nr. 11, 2005, ISSN 0021-9738, S. 3177–3184.
- ↑ Schmeckt uns Fett? In: Spektrum der Wissenschaft. Abgerufen am 20. Mai 2025.
- ↑ B. Lindemann u. a.: The Discovery of Umami. In: Chemical Senses. Bd. 27, Nr. 9, 2002, ISSN 1464-3553, S. 834–844. (Zusammenfassung)
- ↑ T. Ohsu, Y. Amino, H. Nagasaki, T. Yamanaka, S. Takeshita, T. Hatanaka, Y. Maruyama, N. Miyamura, Y. Eto: Involvement of the calcium-sensing receptor in human taste perception. In: Journal of Biological Chemistry. Band 285, Nummer 2, Januar 2010, S. 1016–1022 (englisch). (Online)
- ↑ Daniela Mocker: Neuer Geschmacksrezeptor entdeckt. Fliegen schmecken basisch. In: spektrum.de. Artikel vom 21. März 2023, abgerufen am 20. Mai 2025.
- ↑ Michelle J Y Ecarma, Alissa A Nolden: A review of the flavor profile of metal salts: understanding the complexity of metallic sensation. In: Chemical Senses. Band 46, 1. Januar 2021. Abgerufen am 20. Mai 2025. Zitat: “These studies have provided evidence that metallic sensation is complex and more accurately fits the definition of flavor rather than a taste.”
- ↑ Bethany Brookshire: Tongues ‘taste’ water by sensing sour. In: ScienceNewsExplores. Artikel vom 5. Juli 2017, abgerufen am 20. Mai 2025 (amerikanisches Englisch).
- ↑ 10,0 10,1 10,2 10,3 10,4 10,5 10,6 Heinz Grill: Ein neuer Yogawille und seine therapeutische Anwendung bei Ängsten und Depressionen. 2. Auflage. Lammers-Koll-Verlag, 2012, ISBN 978-3-941995-88-8, S. 184–187.
- ↑ Deepak A Deshpande, Wayne C H Wang, Elizabeth L McIlmoyle, Kathryn S Robinett et al.: Bitter taste receptors on airway smooth muscle bronchodilate by localized calcium signaling and reverse obstruction. In: Nature Medicine. 16, 2010, S. 1299.
- ↑ Stephen D. Roper: Signal transduction and information processing in mammalian taste buds. In: Pflügers Arch Bd. 454, Nr. 5, 2007, S. 759–776 (englisch). (PDF Online)
- ↑ Vgl. etwa M. Max et al.: Tas1r3, encoding a new candidate taste receptor, is allelic to sweet resppnsiviness locus Sac. In: Nature Genetics. 1, 28. Mai 2001, S. 58–63, und J. Montmayeuer et al.: A candidate taste receptor gene near a sweet taste locus. In: Nature Neuroscience. Band 4, Nr. 5, 2001, S. 492–298.
- ↑ C. E. Riera, H. Vogel u. a.: Sensory attributes of complex tasting divalent salts are mediated by TRPM5 and TRPV1 channels. In: jneurosci.org. Band 29, Nummer 8, Februar 2009, S. 2654–2662 (englisch).
- ↑ Yi-Jen Huang et al.: The role of pannexin 1 hemichannels in ATP release and cell-cell communication in mouse taste buds. In: pnas.org. Abgerufen am 20. Mai 2025 (englisch).
- ↑ Gustatorisches System und Geschmackssinn. In: anatomie.net. Archivlink, abgerufen am 18. Mai 2025.
- ↑ Rudolf Steiner: Sprachgestaltung und Dramatische Kunst. GA 282. 4. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1981, ISBN 3-7274-2820-1 (Ln), S. 255 f. (Online)
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